Yang Sheng

養生 Yang Sheng – Lebenspflege

Der Begriff „Yang Sheng 養生 – Lebenspflege“ findet sich vor allem in der chinesischen Medizin und im Qi Gong. In der Vergangenheit wurde auch der Begriff: Dao Yin für die Lebenspflege verwendet.

Yang 養 = nähren, pflegen

Sheng 生 = Leben, Wachstum

Dao Yin導引 = (Qi) leiten und (Körper) dehnen

 Wo und warum

Nach meinen Beobachtungen und Recherchen findet sich der „Lebenspflege-Aspekt“ auch in den traditionellen chinesischen Kampfkünsten „Taijiquan und Xingyiquan“ wieder. Warum wird in diesen Kreisen in der Regel kaum von Lebenspflege gesprochen oder diese erwähnt?

Xingyiquan

Das hat damit zu tun, dass die Lebenspflege ein positiver Nebeneffekt der traditionellen chinesischen Kampfkünste ist. Der Schwerpunkt liegt hier auf den Kampfkünsten und der Entwicklung des Gong Fus.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass zur Zeit der Entwicklung dieser Kampfkünste die Menschen ihre Häuser und Dörfer noch selbst verteidigen mussten oder einige verdienten ihr Geld als Leibwächter reicher Familien.

Bei meinen Nachforschungen in den traditionellen Taijiquan- und Xingyiquan-Linien, denen ich folge, hat sich gezeigt, dass die früheren Meister im Allgemeinen ein sehr hohes Alter erreichten und in der Lage waren, ihre Kampfkünste und ihre Gesundheit bis zum Lebensende zu erhalten. Darin sehe ich einen Beweis, dass diese Künste einen hohen Lebenspflegeaspekt haben.

 Körper und Geist

Durch das Training und die Beschäftigung mit dem eigenen Körper und Geist, wird die Selbstwahrnehmung stark verbessert. Damit der Aspekt der Lebenspflege seine Wirkung entfalten kann, müssen die äußeren Bedingungen, die Haltung und Bewegung, immer wieder herausgearbeitet und Missverständnisse beseitigt werden. Ich möchte hier nicht im Detail auf diese Prinzipien eingehen. Die Prinzipien müssen direkt Erklärt und durch das Spüren vermittelt werden.

Yang Sheng – Lebenspflege „Übungen“

Es gibt viele Taijiquan-Spieler, die seit vielen Jahren üben, aber nicht in die inneren Prinzipien dieser Künste eingeführt worden sind. Warum das so ist, kann und will ich nicht beurteilen. Viele Taijiquan-Übende denken, dass sie Taijiquan üben, wenn sie die Bewegungsabläufe lernen, aber das Taijiquan-Training beginnt erst richtig, wenn man die Form (Bewegungsablauf) gelernt hat. Denn jetzt geht es darum, die inneren Prinzipien dieser Künste zu studieren und im Körper zu verankern.

Yang Sheng – Lebenspflege „TuiNa AnMo“

Einige Prinzipien lauten:

Fang Song              Entspannung von Körper und mentales Lösen des Geistes

Yi                              Vorstellung, Absicht, Intention

Kai He                     Öffnen und Schließen

Jin                             Innere Verbindungen

Chansi Jin               Spiralbewegungen (Kraft)

Ting Jin Hören der Kraft

Dong Jin Verstehen der Kraft

Hua Jin Neutralisieren, Umwandeln, Auflösen der Kraft

Innere Bewegungen

Im Studium der inneren Bewegungen, unter Beibehaltung der korrekten Körperausrichtung werden die natürlichen Bewegungen des Körpers immer klarer und deutlicher hervortreten. Geschmeidigkeit und Entspannung entsteht, indem sich falsche Kräfte auflösen. 

Der Körper beginnt sich selbst zu regulieren, wodurch sich körperliche Beschwerden verbessern oder auflösen. Die Durchlässigkeit der Meridiane und der netzartigen Gefäße wird stimuliert, was den Energiefluss und die Blutzirkulation verbessert, da sich das Gewebe und die Gelenke öffnen. Durch die Entspannung, Dehnung und spiralförmigen Bewegungen werden Verklebungen in den Faszien gelöst und die elektrischen Impulse der Nerven können frei übertragen werden. Das führt zu Linderung oder Beseitigung von Schmerzen.

Die entspannte, geistige Konzentration und Aufmerksamkeit entspannt zudem den Geist und wirkt sich positiv auf die Psyche aus. Durch das ständige und intensive Selbststudium und durch Beobachtung der Schüler wird ein großes Wissen und ein gutes Verständnis für die körperlichen Bewegungen und Körpermanipulation entwickelt. Aus diesem Grund waren viele Kampfkunstmeister auch gute Physiotherapeuten und TuiNa AnMo Therapeuten, auch wenn sie keine medizinische Ausbildung hatten.

 Polare Sichtweise

Um diese Künste zu verstehen, müssen wir in unserer Weltanschauung die „duale Sichtweise“ ablegen und die „polare Sichtweise“ praktizieren. In der polaren Sichtweise erzeugt das eine das andere und benötigt das Gegenstück, um überhaupt zu existieren oder zu entstehen. Wir nutzen u. a. die Prinzipien von Yin und Yang und die fünf Wandlungsphasen. Die chinesische Philosophie hat also auch einen großen Einfluss auf diese Künste.

Unabhängig davon, aus welchem Grund man Taijiquan oder Xingyiquan übt, ist es wichtig, die inneren Prinzipien zu verstehen. Nur so kann sich die Yang Shen – lebenspflege voll entfalten. Es wäre schade, diese Künste nicht in vollem Umfang zu nutzen, denn die Zeit, die man in das Training investiert, ist die gleiche, aber die Gesundheit, die innere Stärke und die Lebenspflege würden mehr davon profitieren. Natürlich habe ich Leute sagen hören, dass wir die Künste nur üben, um unser Leben zu pflegen, aber wenn wir die inneren Prinzipien nicht üben, können wir nicht über Taijiquan oder Xingyiquan sprechen. Wir sprechen dann über eine schöne Gymnastik, die schon sehr gut ist.

Tuishou im Taijiquan

Vorteile die zählen

Dass die traditionellen Kampfkünste einen positiven Einfluss auf die Menschen haben, zeigt sich daran, dass sie oft ihre Work-Life-Balance anpassen und ihren Lebensstil ändern. Ich erlebe auch immer wieder, dass viele körperliche und psychische Probleme durch das richtige Training reduziert oder beseitigt werden können.

Die meisten Schüler kommen nicht zum Taijiquan, um zu lernen, wie man kämpft, aber sie erkennen nach einiger Zeit, dass sie die kämpferischen Prinzipien dieser Künste verstehen müssen, um ihre inneren Ressourcen zu entdecken und die Kultivierung der Lebenspflege kann ihre Wirkung voll entfalten. Die Entwicklung des Gong Fu steht bei den inneren Kampfkünsten im Vordergrund und die Schüler/innen haben mit der Zeit immer mehr Freude daran, ihre inneren Fähigkeiten durchs Tuishou zu testen und sich dadurch weiterzuentwickeln.  

Das Schöne an diesen Künsten ist, dass wir nicht nur mit der äußeren, groben Kraft arbeiten und so haben die meisten Schüler/innen kein Problem mit den Partnerübungen, zumal man durch Beng Jin den inneren Raum bewahrt. Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass Neulinge sich mit den Künsten eingehend auseinander setzen. Ich wünsche daher allen Praktizierenden der chinesischen inneren Kampfkünste ein hohes Gong Fu und eine gute „Lebenspflege“.

21.02.2025, V. Bänsch